Astrofotografie :: Das Seeing und seine Beurteilung

 
Die Luftunruhe, in Fachkreisen auch Seeing genannt, entsteht durch Störungen der Wellenfronten bei Turbulenzen in unserer Atmosphäre. Eine qualitative Beurteilung liefert unter anderem die Seeing Skala nach Pickering.

Das Seeing und seine Beurteilung

Inhaltsverzeichnis:

  1. Ist Seeing gleich Seeing?
  2. Das Seeing und die Teleskopöffnung
  3. Die Pickering - Skala
  4. FWHM
  5. Seeing und Grenzhelligkeit
  6. Seeing-Vorhersage
  7. Jahreszeitliche Anhängigkeit?

Das Seeing - also die Verzerrung feiner Strukturen durch die Luftunruhe stellt den Astrofotografen vor ein sehr ernstes Problem. Die im Prinzip punktförmigen Sterne und deren Beugungsscheibchen und -ringe werden zu bizarren Gebilden verzerrt, Planeten werden verformt und Oberflächeneinzelheiten auf ihnen erscheinen verwischt, verzerrt und unscharf.

Venussichel bei mäßigem Seeing Besonders problematisch ist das Seeing, wenn extrem feine Strukturen aufgelöst werden sollen, wie am Beispiel der sehr schmalen Venussichel links im Bild sehr schön zu sehen ist. Es ist fast nicht möglich, die extrem feinen Sichelspitzen noch sauber darzustellen.

Zwar können diese Störungen wegen ihrer statistischen Natur durch das Kombinieren und Nachschärfen mehrerer kurzbelichteter Einzelaufnahmen erheblich reduziert werden, doch eine nahezu vollständige Korrektur gelingt eben nur mit Hilfe einer adaptiven Optik, wie sie in den modernsten Großobservatorien eingesetzt wird.

Eine quantitative Beurteilung des Seeings zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ist eben wegen seiner statistischen Natur nicht möglich. Dagegen sind qualitative Beurteilungen nach Antoniadi und William H. Pickering (1858-1938) üblich. Letzterer hat eine Skala von 1 bzw. 1/10 (sehr schlecht) bis 10 bzw. 10/10 (ausgezeichnet) eingeführt. Leider stimmt diese Skala nur dann exakt, wenn eine 5" (127mm) Optik verwendet wird.

Fatalerweise ist die Beurteilung des Seeings tatsächlich stark vom verwendeten Instrument abhängig. Schwärmt der 60mm-Refraktor-Besitzer angesichts knackscharfer Sternabbildungen von einem 10/10, so kann es durchaus sein, daß sein Nachbar seinen 14-Zöller mit einem müden Grunzen wieder einpackt und von einem 4/10 - Seeing spricht.

Entscheidend für die Abbildungsqualität punktförmiger Objekte ist die ´effektive Öffnung´ eines Teleskops, die durch den sogenannten Fried-Parameter beschrieben wird. Dieser bestimmt, wann ein Stern noch beugungsbegrenzt abgebildet wird. In unseren Breiten sind effektive Öffnungen üblich, die typischerweise im Bereich von 50 bis 150mm liegen. In seltenen, glücklichen Momenten auch deutlich darüber. Und genau dieser Effekt wird bei der "Webcam-Astrofotografie" mit großen Mengen kurzbelichteter Einzelaufnahmen genutzt. Bei sehr gutem Seeing kann die effektive Öffnung bei <3% der Einzelbilder einer Aufnahmeserie durchaus in die Größenordnung von 400mm und darüber kommen.

Nun soll man ja nicht auf die Idee kommen, daß ein großes Instrument generell anfälliger auf das Seeing reagiert, denn Größe und Entfernung der Turbulenzzellen spielen hier eine wichtige Rolle. Dazu mehr im übernächsten Absatz. Beide Kandidaten aus dem vorigen Beispiel hatten wahrscheinlich Okulare mit gleicher Brennweite, jedoch auf Grund sehr unterschiedlicher Teleskopbrennweiten auch sehr unterschiedliche Vergrößerungen bei etwa gleicher Austrittspupille. Es ist also durchaus möglich, daß der verzückte ´60mm-Beobachter´ den engen, zappelnden Doppelstern im Rohr des grunzenden ´356mm-Beobachters´ glatt für ein knackscharfes Einzelexemplar gehalten hat.

 

Ist Seeing gleich Seeing?

Keineswegs! Die Turbulenzen können sich in sehr unterschiedlichen Entfernungen vom bzw. Höhen über dem Betrachter befinden. Zwei extreme Beispiele sind die Turbulenzen in größerer Höhe, wie sie für Föhnwetterlagen typisch sind: Das Gestirn steht insgesamt völlig ruhig und unverzerrt am Himmel, erscheint aber völlig unscharf und ohne Kontrast. Gegen ein solches ´feines´ Seeing ist man selbst mit kurzbelichteten Webcamaufnahmen machtlos.

Dann gibt es noch das ´grobe´ Seeing, meist verursacht durch bodennahe Kaltluftschichten mit einer wärmeren Luftschicht in geringer Höhe darüber. Das Gestirn tanzt wild hin und her, wird regelrecht ´durchgeknetet´ und erleidet auf kurzbelichteten Aufnahmen starke Verzerrungen. Wenn einzelne Bildteile dabei mit guter Schärfe abgebildet werden können, dann lohnt sich eine Aufnahmeserie durchaus, denn das Stackprogramm Avistack kann diese Verzerrungen weitgehend ausgleichen und verwendet nur scharf abgebildete Bildteile.

Meist tauchen beide ´Seeing-Arten´ in Kombination auf, so daß man dann nur noch mit geübtem Auge beurteilen kann, ob sich eine Aufnahme lohnt oder nicht.

 

Das Seeing und die Teleskopöffnung

Machen wir mal folgendes Experiment: Zwei kleinere Fernrohre werden in einem Abstand von einem halben Meter aufgestellt und zielen auf den selben Stern. Mit der jeweils höchstmöglichen Vergrößerung machen wir mit beiden Instrumenten nun gleichzeitig eine kurzbelichtete Aufnahme. Die Betonung liegt dabei auf gleichzeitig, also innerhalb der gleichen Nanosekunde! Betrachten wir das Ergebnis.

Sind beide Aufnahmen identisch? Wenn ja, dann haben wir das schon beschriebene ´feine´ Seeing, und die Teleskopöffnung hat kaum Einfluß auf die Abbildungsschärfe, sofern das Seeingscheibchen groß gegenüber dem theoretischen Ausflösungsvermögen des Teleskops ist.

Ganz anders sieht es beim ´groben´ Seeing aus. Hier werden die beiden Bilder aus unserem Experiment meist höchst unterschiedlich ausfallen, es sei denn, die Turbulenzzellen sind deutlich größer als 50cm (selten!). Man kann sich nun leicht vorstellen, daß eine große Öffnung von einem halben Meter die man sich ja auch als die Summe von vielen kleineren Öffnungen in unterschiedlichen Abständen vorstellen kann, die dort abgebildeten, vielen unterschiedlichen Abbilder zu einem unscharfen Summenbild addieren.

Aus diesen Überlegungen folgt, daß es eine ´optimale´ Öffnung geben muß, bei der die Abbildung die bestmögliche Schärfe hat. Da, wie wir wissen, ´feines´ und ´grobes´ Seeing in der Praxis immer in Kombination mit unterschiedlicher Gewichtung auftreten, läßt sich diese ´optimale´ Öffnung nur im Versuch durch gezieltes Abblenden ermitteln. Wegen der statistischen Natur des Seeings ändert sich die ´optimale´ Öffnung natürlich ständig. Generell ist es in Mitteleuropa bei ´groben´ Seeing nicht ganz verkehrt, die Optik auf ca. 120mm abzublenden - weniger als 1" Auflösung sind in dieser Situation auch mit voller Öffnung kaum realistisch.

 

Die Pickering - Skala

Diese Skala wird heute üblicherweise verwendet, daher soll sie mit nachfolgender Tabelle im Detail erläutert werden.
Seeing Bemerkungen
 
1/10
 
Speckles Absolut unbrauchbares Seeing. Ein Stern würde in einem 5"-Instrument auf über 10" ´aufgeblasen´, was eine vernünftige Beobachtung unmöglich macht. Bei kurz belichteten Aufnahmen und großer Öffnung zerfällt das Beugungsscheibchen in zahlreiche sogenannter Speckles (Abbildung)
 
2/10Sehr schlechtes Seeing. Sterne werden immer noch nicht abgebildet. Speckles im Bereich 10". Astroaufnahmen mit kurzbrennweitigen Fotoobjektiven sind trotzdem sinnvoll.
 
3/10Schlechtes Seeing. Beugungsscheibchen, wenn überhaupt nur in kleinen Instrumenten sichtbar mißt ca. 6-7". Kurzbrennweitige Astroaufnahmen (<400mm) aber bereits sinnvoll.
 
4/10 Mäßiges Seeing. Doch manchmal läßt sich im 5-Zöller das zentrale Beugungsscheibchen, sowie Beugungsringe ausmachen. Planetenaufnahmen sollten möglichst aufgeschoben werden
 
5/10 Mittleres Seeing. Zentrales Beugungsscheibchen ist im 5-Zöller immer sichtbar. Einzelne Bögen von Beugungsringen werden dort öfters gesehen. Für die Planetenbeobachtung wird's langsam interessant.
 
6/10 Mittleres bis gutes Seeing. Zentrales Beugungsscheibchen wird auch in größeren Instrumenten bis ca. 8" sichtbar. Gute Planeten- und Mondaufnahmen möglich.
 
7/10 Gutes Seeing. Knackscharfe Abbildungen in kleinen Optiken. In unseren Breiten ist ein solches Seeing schon sehr selten. Gute Planeten- und Mondaufnahmen möglich.
 
8/10 Sehr gutes Seeing. In unseren Breiten extrem selten. Strukturen deutlich unter 1" können in größeren Instrumenten kurzzeitig gut aufgelöst werden.
 
9/10 Sehr, sehr gutes Seeing. In unseren Breiten vielleicht im Hochgebirge oberhalb einer Inversionsschicht bei einer winterlichen, sehr ruhigen Hochdruckwetterlage möglich.
 
10/10 Ausgezeichnetes Seeing! In unseren Breiten leider nur ein Wunschtraum. Perfekte Abbildung der Beugungsscheibchen und -ringe auch in größeren Instrumenten.
 
 

Eine so genaue Beurteilung des Seeing ist in der Praxis äußerst schwierig und ungenau, daher verwende ich auf dieser Site eine vereinfachte "Skala" von "Grottenschlecht" bis "Sehr gut". Auf die Pickering-Skala übertragen, könnte man das etwa folgendermaßen übersetzen:


Bewertung        Pickering    FWHM
Grottenschlecht  1/10         >10"
Schlecht         2-3/10        8-10"
Mäßig            4/10          6- 8"
Mittel           5/10          4- 6"
Mittel-Gut       6/10          3- 4"
Gut              7/10          2- 3" Selten!
Sehr Gut         8/10         <2"
9/10 und 10/10 kommen in Mitteleuropa nicht vor.
 

FWHM

Gelegentlich wird das Seeing auch als ´FWHM-Wert´ angegeben. FWHM ist die neudeutsche Abkürzung für Full Width Half Maximum. Was man sich darunter vorzustellen hat, soll die nachfolgende Skizze verdeutlichen:

FWHMKein Stern, dessen Licht seinen langen Weg durch unsere turbulente Atmosphäre bahnen muß, bis es endlich die Teleskopöffnung erreicht, kann dort ideal punktförmig abgebildet werden. Vielmehr wird es eine gaußförmige Helligkeitsverteilung um einen gedachten Punkt herum geben. Das FWHM gibt nun den Winkeldurchmesser dieser Helligkeitsverteilung an, bei dem der Helligkeitswert gegenüber dem Maximalwert in der Mitte auf die Hälfte abgefallen ist. Das FWHM ist keineswegs konstant, vielmehr ändert sich sein Wert ständig in unvorhersehbarer Weise ( ´statistisch´ ) von einer Millisekunde zur nächsten aber auch von einer Stunde zur nächsten.

Das FWHM erlaubt damit eine quantitative Beurteilung des Seeing, wobei sich der ermittelte Wert auf eine ganz bestimmte Integrationszeit bezieht, die sich üblicherweise im Minutenbereich befindet. Kürzere Integrationszeiten führen daher stets zu einem abweichenden FWHM und zu einer schlechteren Ausmittelung der (ebenfalls statistisch verteilten) Verzerrungen. Durch Selektion kann das FWHM ´künstlich´ verbessert werden. Ein weiterer guter Grund, die Gesamtbelichtungszeit auf mehrere Einzelbelichtungen bei nachträglicher Selektion zu verteilen.

Wertebereich: (bezogen auf eine Integrationszeit von ca. 1 Minute)
An wenigen Orten auf der Erde wird man einen FWHM von unter 0,5" vorfinden. Bei uns in Mitteleuropa sind ´Top-Werte´ von 1,5" bis 2,5" (bei ca. 45° Horizonthöhe) üblich, allerdings nur an geeigneten Standorten. Meist haben wir es aber mit Werten zwischen 4" und 6" bei mittleren Horizonthöhen zu tun. Schlechte Werte liegen bei 10" und oft auch deutlich darüber.

Im Millisekundenbereich können diese Werte allerdings gelegentlich sogar bei uns deutlich unter 1" liegen. Dieser Effekt wird bei kurzbelichteten Aufnahmen von Sonne, Mond, Planeten und Doppelsternen genutzt, in dem aus tausenden Einzelaufnahmen die besten 1-5% zur Bildgebung herangezogen werden (=´Lucky Imaging´).

 

Seeing und Grenzhelligkeit

Nicht nur bei kurzbelichteten Mond- und Planetenaufnahmen spielt das Seeing eine große Rolle. Bei Deepsky-Aufnahmen werden die Sterne bei schlechtem Seeing zu großen Kugeln ´aufgeblasen´, was man durch anschließendes Schärfen wieder etwas reduzieren kann. Viel schlimmer ist aber, daß das Sternlicht auf immer mehr Pixel verteilt wird, worunter die erreichbare Grenzhelligkeit starkt leidet, denn das verbleibende Rauschen bleibt ja konstant. Zu allem Überfluß ist der Zusammenhang zwischen dem FWHM-Wert des Seeing und der fallenden Maximalhelligkeit des einzelnen Pixel auch noch ein quadratischer. Das heißt bei 6" FWHM wird die Sternabbildung nur noch 1/4 derjenigen Helligkeit erreichen, die man mit 3" FWHM hätte. Hier sollte also im Interesse einer möglichst großen Grenzhelligkeit ein ´Oversampling´ vermieden und der Abbildungsmaßstab entsprechend so angepaßt werden, daß das ´Seeingscheibchen´ mit ca. 3×3 Pixel abgebildet wird. Notfalls - sofern der Kamerachip dafür groß genug ist, auf 2× bis 3× Binning umschalten.
 

Seeing-Vorhersage

Das Seeing läßt sich nicht exakt vorhersagen. So verleitet ein dunkler, sternenklarer Himmel mit unzähligen funkelnden Sternen oft zu der Annahme, daß ein gutes Seeing herrscht, jedoch ist oft das genaue Gegenteil der Fall. Zwar ist die Luft dann sehr klar, hat also eine sehr gute Durchsicht, doch Turbulenzen in allen Höhen sorgen unter Umständen für ein grottenschlechtes Seeing. Das unangenehme Bodenseeing kann man dadurch vermeiden, in dem man einen um einige Meter gegenüber der Umgebung erhöhten Standort wählt. Nicht ganz zufällig stehen die Kuppeln der meisten Observatorien auf einem mehrere Meter hohen Sockel. Es gibt Wetterlagen und Bedingungen, die das Seeing in die eine oder andere Richtung beeinflussen:

Gutes Seeing:  
Schlechtes Seeing:

Jahreszeitliche Abhängigkeit?

Die Frage nach einer jahreszeitlichen Abhängigkeit des Seeings wird oft gestellt und kann nach einigen Jahren der Erfahrung auch beantwortet werden. Die Neigung zu schlechtem Seeing ist besonders in den Wintermonaten stark ausgeprägt, besonders dann, wenn die Nachttemperaturen über einer geschlossenen Schneedecke besonders tief abfallen. Darüber liegt dann meist eine etwas wärmere Luftschicht, was stets zu starken Turbulenzen führt. Die folgende Tabelle aus eigenen Messungen zeigt das mittlere Seeing nach Kalendermonat aufgeschlüsselt und zeigt diesen Zusammenhang doch recht deutlich:
 
Der ´Ausreißer´ für Februar wird durch die lange und stabile Hochdruckwetterlage im Februar 2008 und 2011 verursacht, während derer kein Schnee lag und ich sehr viele Aufnahmen machen konnte.
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